Friederike Gräff – Warten. Erkundung eines ungeliebten Zustands

Friederike Gräff – Warten. Erkundung eines ungeliebten Zustands

Schade, bald, heißa, da ist Weihnachtstag, dann ist die Zeit erfüllt und das Warten hat ein Ende. Damit wird uns ein Zustand genommen, der das Leben ungemein bereichern kann. Das ist die spirituelle Erkenntnis frommer Menschen durch alle Zeiten und Religionen. Auch jenseits des Glaubens prägt das Warten das Leben.

Die Journalistin Friederike Gräff hat viele erhellende Zusammenhänge herausgefunden. Sie ergründet, was das Warten in uns auslöst, in dieser schnelllebigen Gegenwart, die die Vorzüge des Wartens aus den Augen verloren hat. Wer ihr Buch liest, kommt zu dem Schluss: Unsere Kultur legt es darauf an, das Warten zu vermeiden. Alles muss schneller gehen, das Warten wird als Last empfunden. Dabei hat es oft etwas Gutes: „Wer wartet, steigt aus dem schnellen Fluss des Gegebenen aus. Er verweigert sich dem Effizienzterror“, schreibt Gräff und freut sich ein bisschen darüber, dass das Warten einfach nicht abzuschaffen ist.

Höchstens für die sozial Privilegierten, die manchmal an den Warteschlangen des Volkes vorbeihuschen dürfen zu ihrem Premium-Schalter. Mit dem wartelosen Zustand entgeht den First-Class-Reisenden aber auch eine wichtige Erfahrung: „Das Warten konfrontiert uns mit uns selbst – das kann, muss aber nicht anstrengend sein.“ Gräff widmet sich aber nicht nur dem Alltagswarten. Das Warten auf die große Liebe erkundet sie im Gespräch mit einer Partnervermittlerin. Auch Trauern ist ein Zustand des Wartens – darauf, dass das Leben wieder seinen Gang geht, ohne den verlorenen Menschen.

Gefangene, die auf ihre Freilassung warten; Religiöse, die den Messias oder die Apokalypse herbeisehen; Asylbewerber, die auf den positiven Bewilligungbescheid hoffen; Sterbenskranke, die im Hospiz sinnvoll auf den Tag ihres Sterbens hinleben – in ihrem liebevoll ausgestatteten Buch beleuchtet Friederike Gräff viele Schattierungen ihres Themas. Gut zu lesen in den Wartesälen dieser Welt.

Friederike Gräff: Warten. Erkundung eines ungeliebten Zustands. Ch. Links Verlag Berlin 2015, 190 Seiten, 16,00 Euro

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