Neujahr – Juli Zeh

Neujahr – Juli Zeh

Kein Zauber, nirgends. Dafür Enttäuschung darüber, dass Juli Zehs neue Roman merkwürdig flach, kleinteilig und klischeedurchsetzt daherkommt. Die Geschichte: Henning, ein junger Vater mit Herzproblemen, fährt mit Gattin und den beiden gemeinsamen kleinen Kindern in den Urlaub nach Lanzarote. Am Silvesterabend nerven die Kinder, die Frau flirtet und tanzt fremd – also steigt der Vater aufs Rad und quält sich die Serpentinen auf den Berg hinauf. Auf dem Weg sieht er seltsame Dinge: einen Hirten, der starr dasteht, und einen Gärtner, der gegen den Wind gießt und trotzdem nicht nass wird. Die Anstrengung des Radelns löst in dem gefrusteten Bilderbuchpapi ein paar Vermurksungen; laut traut er sich, seine eingespannte Situation und seine Liebsten „scheiße“ zu finden und schreit es wütend in den Wind. Endlich kommt er mal aus sich raus, der neue Mann. Klar, er leidet auch darunter, dass seine Frau ihn ziemlich weicheiig findet, er solle doch mal wie ein Mann werden, sagt sie, „einer, den ich lieben kann!“ Das sitzt.

Als Henning den Gipfel erreicht, kommt ihm einiges seltsam vertraut vor: Das Dorf da unten hat er doch schon mal gesehen? Die unzähligen ekligen Spinnen an der Wand des Hauses und den tiefen dunklen Brunnen doch auch? Und oha, Lisa, die Frau, die im Haus auf dem Gipfel wohnt, trägt die Haare genauso geflochten wie seine Mutter!

Cut. Genau in der Mitte setzt die Erzählung neu an und erzählt eine zweite Geschichte. Sie klärt die Déja-Vùs langatmig und arg konstruiert auf. Henning und seine kleine Schwester Luna waren mit ihren Eltern schon mal im Urlaub – o Wunder, in genau diesem Haus in Lanzarote. Und da geschah Traumatisches: Die Eltern fuhren eines Tages weg und ließen die beiden Kinder allein im Haus. Die Kleinen wurschteln sich durch die Tage, sind erst irritiert, geben dann die Hoffnung auf die Wiederkehr der Eltern auf und versinken im Chaos. Eine Erinnerung kriecht in Hennings Bewusstsein: Er hatte seine Mutter dort beim Liebesakt mit dem Gärtner Noah entdeckt. Und eben der rettet Luna vor dem Sturz in den tiefen Brunnen. Das Finale des Buches: Wieder zurück in Deutschland, löst Henning das ihn offensichtlich beengende Band mit seiner Schwester Luna und entlässt sie und damit auch sich selbst ins freie Leben. Ob ihn dies befähigt, nun gegenüber seiner Frau und seinen Kindern zum Mann zu werden, bleibt so offen wie wünschenswert.

Juli Zeh schreibt eigentlich wohltuend sachlich. Im Buch „Neujahr“ allerdings führt dieser Schreibstil nicht zu tiefen und grandiosen Personenbeschreibungen, sondern zu einer geradezu plumpen Unmittelbarkeit. Da ist nichts Leichtes, nichts Unerwartbares, nichts Transzendentes. Für eine psychologische Studie, die der Plot hätte hergeben können, steuert Zeh zu gradlinig auf ihr Thema zu: Wie prägt die Kindheit das Erwachsenenleben und wie inszenieren sich in Beziehungen die alten Traumata neu. Mit viel Wohlwollen könnte man das als tiefenpsychologischen Ansatz werten – doch den relativiert Zeh gleich wieder, indem sie das offensichtlich psychosomatische Leiden Hennings, verbunden mit Panikattacken, als „ES“ bezeichnet. Freud lässt grüßen. Doch leider ist Juli Zeh auch kein halbwegs stringenter und tiefsinniger psychologischer Roman gelungen. „Neujahr“ liest sich eher wie ein Werkstattbericht eines Romans, aus dem mit viel Arbeit und Konzentration etwas Großes werden könnte.

Juli Zeh: Neujahr. Roman, Luchterhand Literaturverlag, München 2018, 192 Seiten ISBN 978-3-630-87572-9

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