Hanspeter Dickel: Gronau Udo Wunderwelt
Ist über Udo Lindenberg alles gesagt und gezeigt? Nein – merkt, wer dieses eigensinnige Buch, 304 Seiten stark mit 792 Abbildungen und 1,4 Kilogramm schwer, anschaut und liest. Verfasst hat es Hanspeter Dickel, Kumpel Lindenbergs seit Kindergartenzeiten, „stiller Komplize seit mehr als 70 Jahren“, auch Musik machten die beiden einst zusammen. Jaja, wir werden alle älter, im Song „Was hat die Zeit mit uns gemacht?“ hat Lindenberg diese wie fast alle anderen Lebenserfahrungen – ob schmerzlich, ob süß – beschrieben. Dickel lebt wieder in der Stadt, aus der Lindenberg als Jugendlicher Reißaus nahm: Gronau in Westfalen, kurz vor der niederländischen Grenze. Der Prophet gilt nichts in der eigenen Heimatstadt – diese biblische Weisheit zählt für Lindenberg und Gronau schon lange nicht mehr: Der berühmteste Sohn der Stadt wird inzwischen reichlich geehrt durch einen offizielle Platz-Namen, ein Denkmal, seit 2016 ist er sogar Ehrenbürger. Das Geburtshaus Lindenbergs in der Gartenstr. 3 ist Pilgerziel der Udo-Fangemeinde.
Hier lag das Kindheitsuniversum Lindenbergs: Vater Gustav und Mutter Hermine versuchten, ihre vier Kinder so gut wie es ihnen möglich war ins Leben zu bringen. Diese Versuche und was sonst noch so geschah in Kindheit und Jugend Lindenbergs (und später), ist zu lesen und anzuschauen in Dickels Buch. Unzählige Fotos ziehen hinein in die Nachkriegszeit und in Udos Leben, einstige Wegbegleiter(innen) schreiben, was sie mit Udo erlebten, Verwandte, Freunde, Schulkameraden und Mitmusiker, auch Musiklehrerin Almuth Gillhaus, die sich freut, ihm eine „1“ in Musik gegeben zu haben. Dickel zeigt Auszüge aus Udos Schulheften und einem „Radsportbuch“; das er als bekennender Radfan zusammenstellte. Auch Einträge aus seinem Kalender 1959 – am 9. Mai war er zum Konzert von Louis Armstrong im nahen Enschede. Auch Lindenbergs kirchliche Vergangenheit ist zu entdecken. Ein Bild zeigt ihn im Diakonissenkindergarten mit Schwester Amanda. Mit 10 dann ist er Wölfling im Gronauer Stamm des Bundes deutscher Pfadfinder. Dann das Konfirmationsbild, während alle anderen mit Haltung in die Kamera blicken, senkt Udo den Kopf etwas und blickt skeptisch in die Welt. Das alles ist nicht nur interessant für Udo-Fans; es gibt Einblicke in die Atmosphäre des anbrechenden Wirtschaftswunderlandes Deutschland.
Das historische Lindenberg-Kaleidoskop geht weiter über seine Jazz-Schlagzeug-Zeit, ein mehrmonatiges Engagement in die libysche Wüste, seinen Umzug nach Hamburg und den Beginn seiner Karriere. Mit seinem Bruder, dem (inzwischen verstorbenen) Kunstmaler Erich, hielt er innigen Kontakt, ebenso mit seiner Schwester Inge. Herzig, wie er sich um seine Mutter Hermine bis ins Alter fürsorglich kümmerte, sie in seinen ersten Porsche einlud und ins Hotel am Timmendorfer Strand. Auch Lindenbergs spätere Besuche in der alten Heimat Gronau sind dokumentiert.
Hanspeter Dickels Verdienst ist es, aus Lindenbergs Lebensweg keine Heldenstory zu machen; vielmehr zeigt er ihn trotz seiner Popularität als Kind seiner Stadt und seiner Zeit. Das ermöglicht auch Hardcore-Fans eine wohltuende Distanzierung und entspricht wohl auch Lindenbergs Lebensphilosophie: Er ist nur einer, der „sein Ding“ machte, und ermutigt andere, ihren eigenen Weg zu gehen, „ob gerade, ob schräg“. Im Vorwort zum Buch lobt Lindenberg die „Akribie und panische Liebe zum Detail“ seines Kindergartenkomplizen. In der Tat: In sein Buch kann man sich Stunden vertiefen. Wer mehr will, kann eine der „Panikhistorischen Stadtführungen“ in Gronau besuchen, die Hanspeter Dickel regelmäßig anbietet. Und sich freuen auf Band II, der ist bereits angekündigt – Untertitel: „2007 bis in die Ewigkeit“.
Hanspeter Dickel: Gronau – Udo Wunderwelt. Band I: 1946 – 2006. Eigenverlag, Gronau 2019. 304 Seiten, 792 Abb., ISBN 3-928360-34-5. Bestellungen über udobuch@hanspeter-dickel.de