Raiffeisen – Ein Leben für eine gerechte Gesellschaft

Raiffeisen – Ein Leben für eine gerechte Gesellschaft

„Gute Journalisten sind Geschichtenerzähler, die letzten Hüter des Lagerfeuers, um das sich seit Jahrtausenden die Leute versammeln und lauschen und nachdenken.“ So beschreibt Paul-Josef Raue sein Metier. Viele Jahre lang wirkte er als Chefredakteur großer Tageszeitungen. Im Ruhestand, vom tagesaktuellen Geschäft verschont, vertieft er sich nun in Themen. Zum Beispiel in das Leben Friedrich Wilhelm Raiffeisens. Umfragen zufolge wissen nur vier Prozent der Deutschen, dass „Raiffeisen“ keine Marke, sondern der Name eines Menschen ist: Der Name des Gründers der modernen Genossenschaften.

Was er tat und dachte, wie er lebte und woraus er seine Kraft schöpfte, beschreibt Raue mit lockerer Feder und dem nötigen Tiefgang. Er taucht ein in die kleine Welt des Westerwalds, versetzt sich in das Kind Friedrich Wilhelm, das in einem evangelischen Pfarrer einen Förderer und fromme Orientierung findet. Lebendig beschreibt Raue den jungen Mann, der mit Gleichgesinnten in einem Jugendbund wandert und bechert, über Gott und die Probleme der Welt diskutiert, die gerade im Aufbruch ist. Ein schweres Augenleiden lässt Raiffeisen beruflich umsatteln, mit 26 wird er Bürgermeister. Die unbeschreibliche Not der Menschen geht ihm ans Herz, er will helfen – und ersinnt eine Art der Selbsthilfe, die in den folgenden Jahren als Genossenschaftswesen bekannt wird. Bis heute ist sie so erfolgreich, dass sie „immaterielles Weltkulturerbe“ geworden ist und sich ihr rund eine Milliarde Menschen verbunden fühlen.

Sein Buch sei „die Reportage eines Lebens, erzählt von einem Journalisten“ schreibt Raue. So liest es sich auch: spannend, kurzweilig, mit Anekdoten gespickt und spürbar mit Lebenserfahrung geschrieben. Auf die fromme Seite Raiffeisens legt Raue besonderes Augenmerk. Es wird deutlich: Raiffeisen war schlichter Christ „ohne theologischen Überbau“; das Handeln war ihm wichtiger als die private Frömmigkeit. Schleiermachers Thesen über die gefühlige Seite des Glaubens waren ihm bekannt, täglich las er die Herrnhuter Losungen. Ergiebige Zitate hat Raue gesammelt. Unter anderem die Einschätzung eines mit Raiffeisen befreundeten Priesters: „Er war sich seiner katholischen Gesinnungsweise wohl bewusst, aber dem Lehramte der katholischen Kirche sich zu unterwerfen, konnte er als Protestant nicht über sich bringen.“ Ein ganzes Kapitel beschreibt Raiffeisens späteren Plan, eine „Gemeinschaft wohltätiger Liebe“ zu gründen, eine „Societas Caritatis“. In dem überkonfessionellen Orden sollten Mönche ehelos leben und eine eigene Welt mit Ausstrahlung in die Gesellschaft gründen. Diese ziemlich spezielle Vision konnte Raiffeisen jedoch nicht umsetzen.

Ja, da gibt es tatsächlich viele lagerfeuertaugliche Geschichten im Leben Raiffeisens.

Paul-Josef Raue: Raiffeisen. Ein Leben für eine gerechte Gesellschaft. Eine Biografie über den Gründer der modernen Genossenschaften. Klartext-Verlag Essen 2018. 160 Seiten. ISBN 9783837520262

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