Ralf Miggelbrink – Der zornige Gott
Kann der liebe Gott auch zornig sein? Dieser spannenden Frage ging der Essener Theologe Dr. Ralf Miggelbrink nach. Als katholischer Professor für Systematische Theologie verfügt er dabei über das nötige dogmatische und exegetische Handwerkszeug – was freilich die Lektüre seines Buches sehr erschwert, denn mit der Gabe des auch für Nichttheologen leicht verständlichen Schreibens ist er nicht beschenkt. Trotzdem lohnt es sich, sich durch die 150 Seiten hindurch zu arbeiten. Zunächst referiert er jene Stellen des Alten Testaments, in denen JHWH – das ist der hebräische Name Gottes – das Volk und Land Israel heimsucht. Blutige Kriegsniederlagen, Katastrophen und Tod, verdörrte Länder und zerstörte Städte durchziehen den ersten Teil der christlichen Bibel, so dass viele Christen wie auch Religionskritiker unken: Wenn Gott Liebe ist, warum verhält er sich dann so rüde und hofft auf die Wirkung der schwarzen Pädagogik? Miggelbrink ist die Tragweite dieser Frage sowohl in theologischer als auch lebensgeschichtlicher Sicht bewusst. Die Botschaft des „unbedingt liebenden Gottes” wurde für viele Menschen gerade im letzten Jahrhundert zur „entscheidenden religiös-spirituellen Befreiungserfahrung ihres Lebens”. Demgegenüber benutzten die Kirchen den Zorn Gottes als„Drohinstrument bei der Indoktrination mit bigotter Frömmigkeit und skrupulanter Moralität”. Diese beiden verkürzten Sichtweisen entsprechen jedoch nicht dem biblischen Befund, meint Miggelbrink – und will genau den herausarbeiten. Dabei widersteht er der Versuchung, Jesus als Verkörperung der Liebe dem alttestamentarischen zornigen Gott gegenüber zu stellen. Denn Jesus überschüttete die Menschen nicht nur mit Liebe, sondern kündigte ihnen auch das Gericht an – obwohl bei ihm „der optimistische Aspekt der Heilsansage” überwogen habe. Der Apostel Paulus deutete dies nach Jesu Tod und Auferstehung erstmals theologisch: Wer sich dem Evangelium öffne, könne dem Gericht entgehen. Miggelbrink referiert die theologische Entwicklung von der Alten Kirche bis in die Moderne, sowohl auf katholischer wie evangelischer Seite. Und stellt am Ende seine Sicht gut begründete und nachvollziehbar dar: Das Gericht ist nicht in erster Linie ein Strafandrohung, sondern ein Befreiung von der Gewalt, die Menschen einander antun.
Ralf Miggelbrink: Der zornige Gott. Die Bedeutung einer anstößigen bilblischen Tradition. Wissensch. BG., 2002, 168 Seiten, ISBN 3534155823