Hansjörg Hemminger – evangelikal. Von Gotteskindern und Rechthabern

Hansjörg Hemminger – evangelikal. Von Gotteskindern und Rechthabern

„Evangelikale“: Sind das nicht die, die sich selbst als wahre Christen betrachten? Die, die abfällig über sogenannte liberale Christen und über die Volkskirche reden in einer anstrengenden Mischung aus bibeltreu und konservativ, fundamentalistisch, rechthaberisch und superfromm? Pfingstler und Charismatiker zählen dazu, die „Evangelische Allianz“ und US-Fernsehprediger, ebenso Kreationisten und die sektiererischen „Zwölf Stämme“, oder? Sie beten in seltsamen Haltungen, reden viel von Jesus und der Bibel, noch mehr aber von dem, was sie verabscheuen: Homosexualität und Abtreibungen, Gender-Theorien und die historisch-kritische Methode der Bibelforschung!?

Ja, stimmt irgendwie. Und auch im Gebiet der EKBO sorgen Evangelikale für Wirbel, indem sie sich dem ernsthaften Dialog mit anders praktizierenden Christen verweigern. Jüngstes Beispiel sind Auseinandersetzungen um den sogenannten „Marsch für das Leben“ in Berlin, bei dem Evangelikale mit wenig Gespür für seelsorgerliche Wirklichkeit Menschen abkanzeln, die vermeintlich sündhafte Lebensentscheidungen getroffen haben. Trotzdem: Was die Evangelikalen wirklich ausmacht, lässt sich schwer benennen.

Als inzwischen ruheständiger kirchlicher Weltanschauungsbeauftragter beschäftigt sich Hansjörg Hemminger seit Jahrzenten mit dem Phänomen evangelikaler Gruppen. Seine Erfahrungen hat er nun auf sehr erhellende Weise in Buchform dargelegt. Mit großer Gelassenheit, viel Kenntnis der Szene und analytischer Schärfe beschreibt er, wie Evangelikale in Deutschland agieren, was sie glauben und warum sie so penetrant selbstkritiklos sind. Ein witziger Kniff: Hemminger lässt einen fiktiven Wissenschaftler den „Stamm der Evangelikalen“ besuche. Der Forscher ist ziemlich verwirrt und versucht, seine Erkenntnisse dann zusammenzufassen.

Hemmingers Buch ist wichtig und könnte das Gespräch zwischen verhärteten Fronten in Gang bringen. Dass ein Verlag aus dem evangelikalen Bereich es herausgebracht hat, ist ein hoffnungsvolles Zeichen.

Hansjörg Hemminger: evangelikal. Von Gotteskindern und Rechthabern. Brunnen Verlag, Gießen 2016. 240 Seiten, 15,00 Euro

 

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