Marcus Steinweg – Evidenzterror
„Ich denke, also bin ich.“ Diese philosophische Einsicht kann ich noch gerade verstehen. Der Zugang zu darüber hinausgehenden dialektischen Spitzfindigkeiten bleibt mir leider meist verschlossen, da genügt mir ein kräftig undurchdachtes „Ich bin, also glaube ich“.
Das Büchlein „Evidenzterror“ nahm ich folglich mit zwiespältigen Gefühlen zur Hand, doch der Titel klang dermaßen verlockend, dass ich es nicht liegen lassen konnte. Der in Berlin lebende Philosoph Marcus Steinweg durchdenkt darin die Wirklichkeit. 191 mal einsätzige, mal mehrseitige Denkereien hat er aufgeschrieben. Keine leichte Kost. Aber mit dem Mut zur Wissenslücke finden sich grandiose Sentenzen über Gott und die Welt, das Lachen und die Liebe.
Ich lerne, dass ein Dieb eigentlich Romantiker ist, schließlich gilt sein Begehren nur „einer Sache, als deren Substitut es fungiert“. Okay, das hilft nicht, mein gestohlenes Fahrrad zurückzubekommen, ist aber eine nette Erklärung. Auch schön, Woody Allen lässt grüßen: „Ich leugne nicht die Allmacht Gottes, ich bestreite seine Existenz.“ Überhaupt, Gott – oder besser der menschliche Gebrauch des Begriffes, beschäftigt Philosoph Steinweg viel: „Es ist bequemer, an einen toten Gott zu glauben als an gar keinen. Erste Lektion des Christentums: Gott ist tot, nun glaube an ihn.“ Zur fundamentalistischen Abart des christlichen Glaubens findet sich dieser Gedanke: „Nichts lässt das Subjekt fanatischer werden als ein denken, das seine Exzesse verneint.“
Folgenden Satz versuche ich auswendig zu lernen für Smalltalks unter Gelehrten: „Die andauernde Resurrektion diviner Imperialität und Autorität, Gottes Omnipräsenz, ist apodiktischer Beweis seiner Inexistenz.“ Geradezu lebenspraktisch wird Steinweg jedoch, wenn er sich der Liebe in männlicher und weiblicher Form widmet.
Marcus Steinweg: Evidenzterror. Reihe fröhliche Wissenschaft 071, Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2015, 190 Seiten, 16,00 Euro